Die Frau verkauft nicht sich selbst, sondern nur eine Dienstleistung

Es wird häufig argumentiert, dass prostituierte Personen sich und ihre Sexualität voneinander abtrennen können. Sie würden kein Stück von sich selbst, sondern nur eine Dienstleistung verkaufen. Die Annahme, Menschen könnten ihre Seele und ihren Körper voneinander trennen, reicht zurück bis Sokrates und Descartes.

Sex wird durch diese Definition vom Selbst getrennt und zum Produkt, einer Ware, einem Ding gemacht. Aber das funktioniert nicht, nicht mal bei Gegenständen. So bleibt Holz, welches zu einem Tisch verarbeitet wird immer noch Holz, obwohl die Form verändert wurde.

Kajsa Ekis Ekman setzt dies in Zusammenhang mit dem Konzept der Verdinglichung im Kapitalismus nach Georg Lukács: Wir betrachten die Wirtschaft als sei sie nicht von uns beeinflusst. Dinge erhalten ein Eigenleben und Menschen betrachten sich selbst als machtlos. Der Kapitalismus hat sich bereits Arbeit, Wohnen, Gesundheit, Bildung , Kultur etc. einverleibt und will in immer neue Bereiche vordringen. Aber Menschen sind nicht machtlos: Der Kapitalismus funktioniert letztlich nur, weil alle mitmachen.

Man will uns weismachen, Sex sei ein Produkt, welches man auf dem Marktplatz verkaufen kann, irgendwie freischwebend, losgelöst vom Körper. Aber das ist de facto nicht möglich: Sex funktioniert nur mit einem Körper aus Fleisch und Blut. Die “Sexarbeiterin” muss also präsent sein, aber so tun, als sei sie es nicht.

Zahlreiche Prostituierte berichten davon, wie sie während der Prostitution in Gedanken in eine andere Realität flüchten, dass sie es ohne diese Strategie nicht aushalten würden, sich schmutzig fühlen oder zugrunde gehen würden. Das Stummschalten des Körpers, das Ausschalten des Fühlens wird übrigens von prostituierten Personen berichtet, unabhängig davon, ob sie der Prostitution positiv oder negativ gegenüber stehen. Die prostituierte Person teilt sich selbst in einen privaten und einen prostituierten Teil ihrer Selbst und entwickelt dafür zahlreiche Strategien, um sich selbst zu schützen (an etwas anderes denken, durch Drogen oder Alkohol betäuben, Körperteile als Tabu erklären, Zeit beschränken, falsche Namen verwenden und andere Kleidung tragen, …). Diese Strategien ähneln sich überall auf der Welt, instinktiv, ohne dass die Frauen darüber kommunizieren.

Die Person verdinglicht sich selbst, um sagen zu können: Ich verkaufe nicht mich selbst, sondern etwas anderes.

Die meisten Frauen, die eine Körperzone für Tabu erklären, tun dies um einen Teil von sich selbst für sich zu behalten und einen kleinen Rest von Intimität, die jeder Mensch braucht, zu bewahren.

Prostituierte entwickeln mit der Zeit zwei Identitäten: Das Selbst und das prostituierte Selbst. Auch andere Personen, die mit Prostitution in Berührung kommen erleben ähnliches (Sozialarbeiter_innen, Forscher_innen, Polizist_innen):

Sexkäufer trennen ihr Freiertum vom Rest ihrer Existenz, Forscher_innen können nicht sprechen, über das was sie gesehen/gefühlt haben,  …

Kajsa Ekis Ekman vermutet, dass auch das Narrativ der Sexworker_innen ein Weg ist, um Prostitution von sich fern zu halten. Indem man sie zu einem Diskurs, zu einem semantischen Thema, … erklärt. Die Gesellschaft schützt sich vor Prostitution, indem sie über Prostitution debattiert: Wir sprechen darüber, interpretieren sie, deuten sie um, idealisieren sie, spekulieren über sie – aber wir lassen sie nicht an uns ran.

Prostituierte Personen die “Sexarbeit” im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung verteidigen, ziehen eine klare Trennlinie zwischen diesen Auftritten und ihrer Arbeit: Auf deren Webseiten (die sich inhaltlich mit Prostitution befassen) kann man nichts über ihre Angebote erfahren, man kann sie nach Fernsehauftritten nicht auf ihre Preise ansprechen. Der eine Teil ist mit Kampagnen und Politik beschäftigt, der andere damit, sich zu verkaufen – die beiden Teile treffen nicht aufeinander.

Auch wenn Sexualität zu einer Ware wird, wird dadurch nicht automatisch Prostitution zur Arbeit. Genauso wenig, wie das Geld, welches in ihr verdient ist, nicht normales Geld ist. Man bezeichnet es oft als “Monopoly-Geld” oder auch “schmutziges Geld”. Es wird genauso schnell ausgegeben, wie es eingenommen wird, weshalb viele prostituierte Frauen nicht reich aus der Prostitution heraus kommen, obwohl sie selbstbestimmt und ohne Zuhälter arbeiten (ein gutes Beispiel wäre Domenica, die “Königin der Reeperbahn”).

Das Abspalten der Persönlichkeit ist nicht nur ein Abwehrmechanismus, es ist gefährlich. Medizinisch spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung, unter der prostituierte Personen in gleichem Maße leiden wie Kriegsveteranen oder Folteropfer (siehe Farley-Studie).

Dissoziation, das Abspalten von Teilen von sich selbst, das Nicht-mehr-Spüren des eigenen Körpers. Dissoziation kann vom Tagträumen bis zu einer dissoziativen Identitätsstörung reichen. Die allermeisten zeigen das somatische Dissoziationssyndrom: Sie haben das Gefühl für Teile ihres Körpers verloren. Dies passiert weil die “Arbeit” das eigene Selbst und der eigene Körper ist und man sich von ihnen nicht trennen kann. Deshalb ist Prostitution keine Arbeit wie jede andere.

Was den Freier angeht, wünscht dieser sich, dass die Prostituierte ganz da ist, eine Frau, die nicht so tut als wäre es Arbeit für sie. Die Freierforen sind voll von Kritiken a la “Schaut oft auf die Uhr”, “ist gelangweilt”, “ist passiv”, “erlaubt dieses und jenes nicht”. Auf der einen Seite besteht er darauf, dass es “ein Job wie jeder andere ist”, auf der anderen Seite soll sie so tun, als sei es nicht so. Je mehr industrialisiert Prostitution wird, umso mehr verlangt der Käufer nach mehr Intimität, mehr vom Selbst der prostituierten Person. Während Prostitution früher eine schnelle Nummer mit runtergelassenen Hosen war, so wird sie heute immer intimer. Die Prostituierte soll so tun, als sei sie die Freundin, mit Küssen, ohne Kondom, mit romantischem Dinner, usw. Der so genannte Girlfriendsex, bei dem die Prostituierte “voll da” sein muss und Leidenschaft vorspielen muss wird immer dominanter, und genau diese Form der Intimität empfinden Betroffene als besonders belastend. Für den Käufer hingegen besteht die besondere Zufriedenstellung darin, wenn die Illusion perfekt ist: Wenn er selbst fest daran glaubt, dass sie es ebenfalls genossen hat – und dass der Orgasmus nicht vorgespielt, sondern echt war.

Der Markt verlangt nach immer mehr Expansion:

  • 70er Jahre: Oralverkehr wurde Normalität
  • 80er Jahre: Natursekt und -kaviar
  • 90er Jahre: Analverkehr und SM
  • Seit 2000: immer brutalere “Dienstleistungen”
  • Heute: Brustfütterung ist neu im Angebot: Frauen, die kürzlich ein Kind zur Welt gebracht haben, verkaufen ihre Muttermilch an Männer

Wie kann das alles noch gesteigert werden?

Quellen

  • Kvinnofronten
  • Kajsa Ekis Ekman: Being and Being Bought. Prostitution, Surrogacy and the Split Self, Spinifex Verlag 2013